Alkoholismus Therapieforschung Schweiz (atf Schweiz)

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Wie nass sind Alkoholfachkliniken?

Abstinenzvereinbarung und Therapiezielkonformität in der stationären Alkoholtherapie zwischen Wunsch und Wirklichkeit

Projektleitung: Harald Klingemann, Peter Eggli
Mitarbeiter: Katrin Schläfli, Sonja Stutz
Förderung: Schweizerische Stiftung für Alkoholforschung
Laufzeit: 01/2009 – 01/2011

Ausgangslage

Das Suchtversorgungssystem ist einem steigendem Legitimitätsdruck ausgesetzt und hat eine evidenz-basierte Praxis nachzuweisen. Therapieziele und Therapiepraxis werden entsprechend hinterfragt. Von zentraler Bedeutung für Alkoholfachkliniken ist die Abstinenzregelung während der Therapie, welche exemplarisch für die Analyse herangezogen wurde. Daten des nationalen Monitoring weisen bereits darauf hin, dass die normative Geltung dieser Vereinbarung eher gering ist und es bei einem beträchtlichen Anteil der Patienten zu ‚Konsumvorfällen’ während der Therapie kommt. Gleichzeitig unternehmen die Kliniken aufwändige Anstrengungen, dieser Abstinenzvereinbarung über Kontrollen und Unterstützungsmassnahmen Nachgeltung zu verschaffen. Es liegen keine Befunde vor, wie Patienten die Nützlichkeit der Abstinenzregelung während der Therapie bewerten und wie sie darauf reagieren.

Inhalte und Zielsetzung

Während eines einjährigen Beobachtungszeitraum (09/2009 - 09/2010) wurden in den beiden grössten Alkoholfachkliniken der Schweiz, Forel Klinik und Klinik Südhang – welche zusammen 60% der PatientInnen in spezialisierten Fachkliniken repräsentieren – im quantitativen Teil der Studie alle PatientInnen zwei Wochen nach ihrem Austritt aus der Klinik postalisch befragt (n = ca. 550). Hierbei geht es vor allem um die Interpretation von Therapiezielen und der retrospektiven Einschätzung potentieller Konsumsituationen / Risikosituationen während der Gesamttherapiedauer. Als Gegenstück zu dieser Patientenbefragung erfolgte eine schriftliche Befragung der Therapeuten und des Personals (n = ca. 100), welches mit Kontroll- und Stützungsmassnahmen befasst ist (u.a. Pflegepersonal). Im qualitativen Teil der Studie wurden die Patienten- und Behandlerperspektiven zueinander in Beziehung gesetzt und ausführliche Leitfadeninterviews bei folgenden Gruppen durchgeführt: a) Selbstmelder (2 Wochen nach Bekanntwerden); b) Positivkontrollen (ebenfalls 2 Wochen später); c) PatientInnen, die beim Austrittsgespräch ein Konsumereignis berichten, das bis dahin nicht bekannt war (keine Selbstmelder oder Positivkontrollen). Bei den Positivkontrollen wurde eine nach Abteilung und Geschlecht geschichtete Auswahl von n = 48 Patienten (24 je Klinik) befragt, bei den anderen zwei Gruppen werden jeweils alle Fälle berücksichtigt. Zusätzlich wurde das Personal, das mit den entsprechenden Patienten befasst war (fallführende Therapeuten und evtl. Pflegepersonal) ausführlich befragt, womit ein direkter Vergleich zwischen Patienten- und Behandlerperspektive möglich wurde. Die darauf aufbauende Dunkelfeldanalyse wurde entsprechend durch eine Triangulation der Interviewdaten mit Daten aus der Kontrolltätigkeit / Klinikstatistiken geleistet.

Relevanz

Die Ergebnisse der Studie verdeutlichen das Spannungsfeld zwischen Abstinenzvereinbarung und Therapiezielkonformität. Aus der einseitigen Abstinenzfokussierung ergeben sich Einschränkungen der therapeutischen Flexibilität und der Anpassungsfähigkeit an die therapeutischen Ziele der Patienten.

Literatur

Publikation: Klingemann H, Schläfli K, Eggli P, Stutz S (2013). Drinking episodes during abstinence-oriented inpatient treatment: dual perspectives of patients and therapists--a qualitative analysis. Alcohol Alcohol, 48(3), 322-8